Der Mann, der es kann oder ein Gewürzboard im Herbst
Holz hat etwas Magisches, zumindest für mich. Immer wenn ich durch den Wald gehe und meine Nase an frisch geschlagenes Holz halte, spüre ich eine irgendwie geartete Zufriedenheit. Ich rieche das Harz und mit geht das Herz auf. Auch habe ich ein besonderes Verhältnis zu Bäumen, nie käme es mir in den Sinn einen Baum zu fällen oder ähnliches. So muss es wohl zumindest auch bei Reinhard Reis aus Möglingen sein. Wobei ich zugeben muss, dass Holz für mich kein Werk oder Rohstoff ist, und ich muss auch zugeben, dass ich zwei linke Hände habe, die ich mir vorzugsweise abhacke, absäbele, draufhaue oder was auch immer, wenn ich auch nur ansatzweise mit Werkzeug oder sonstigen Holzteilen in Verbindung gebracht werde.
Meine erste Erfahrung mit Holz hatte ich in den achtziger Jahren noch zu Schulzeiten. Damals gab es noch das Fach HTW, genannt Handarbeiten und technisches Werken, ein Hass-Fach von mir. Der zuständige Lehrer Namens Sieghard H. ein Bewunderer und großer Freund von mir (kleiner Scherz) dieses Faches und dazu noch unser Sportlehrer…ein weiteres Sujet, aber das tut hier nichts zur Sache. Ich glaube mich also zu erinnern, dass dieses Fach nicht nur Albträume in mir auslöste, sondern es gab auch eine spezielle Aufgabe und zwar eben jenes Gewürzboard.
Ein Projekt sozusagen. Ich hasste dieses Projekt von Beginn an. Mein Glück war, dass mein Banknachbar Metzgersohn Helmut handwerklich nicht nur mit Schweinehälften umgehen konnte, sondern eben auch mit Holz. Ich bekam also schlussendlich eine drei in der Bewertung (wohl aus Mitleid), was alleine der Hilfe von Helmut zu verdanken ist und auch eben dem Umstand, dass meine Finger heute noch dran sind.
Helmut du guter Freund!
Aber zurück in die Neuzeit, ins Jahr 2019. Für ein größeres Megaprojekt und aufgrund einer Unzulänglichkeit einer Person, deren Namen hier nicht erwähnenswert ist, brauchten Madame und meiner einer eben einen Mann, der es wirklich kann. In einer Nacht- und Nebelaktion und nach diversen Illy Espresso gepaart mit De Luze XO Cognac wurde uns eben jener Name übermittelt, der sich später zum Heilsbringer erweisen sollte.
Bei dem verbindlichen, festen Händedruck schaue ich auf die Hände des Meisters, die zwar von Arbeit etwas gezeichnet, aber alle noch voll intakt sind. Hier bin ich richtig, ich spüre es sofort.
In der großen Lagerhalle von Reinhard Reis (sofern man dies überhaupt so nennen kann), stapelt sich Holz in jeglicher Form, Platten, geschwungene Flächen und riesige Maschinen. Die Luft riecht nach Arbeit und auch ein kleines bisschen nach Holz, zwar eben nicht jenem Holz, dass ich in Verbindung mit Westerwälder Buchenwäldern und Harz bringe, aber wie ich eben später erfahre, Holz in fast jeglicher Verbindung und Form.
Beim anschließenden vier Augen Gespräch, und ich gestehe einem deutschen Café (in Italien an jeder Raststätte besser – der einzige wirkliche Makel), erfahre ich mehr von dem Menschen Reinhard Reis und seine Beweggründe HOLZ & Messebau. Selten trifft man Männer, die wissen, was sie können und darüber kein Aufhebens machen. Dicke Backen soll es anderorts geben, hier nicht. Reis ruht in sich selbst und das merkt man sofort. Er, der aus dem mittleren Westen von Deutschland stammt, tut sich bis heute noch etwas schwer mit süddeutscher Schaffer Mentalität, einer Mentalität, die sich über die Erotik des Schaffens und des Verzichts zu definieren scheint. Es habe sich nie für ihn die Frage gestellt, ob er nach der Schule etwas anderes machen könnte außer Holz. Heute, wir wissen es alle, wird nach der Schule oder dem Abitur erst mal gechillt, es wird herumexperimentiert, den wenigsten ist klar, was sie wollen, den wenigsten ist klar was sie nicht wollen.
Meist wird nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt auf Elternkosten (möglichst weit weg von zu Hause) eine Tätigkeit angestrebt, in der man sich eben nicht die Hände dreckig machen will oder gleich 17 Semester Sozialpädagogik oder irgendwas mit Sport. Sicherlich könnte man sagen, dass der Weg von Reinhard Reis vorgeprägt war, vielleicht vom Großvater, der 1945 das kleine Unternehmen gegründet hat, als einer der Wenigen, die aus dem Krieg heimgekehrt sind, der Vater Schreiner. Aber es gehört dazu, nicht nur der unbedingte Wille und die Bereitschaft, 100 Stunden pro Woche zu arbeiten, sondern es gehört dazu, auch eine Liebe zur Berufung und gerade diese Berufung ist bei Reinhard Reis spür und greifbar.
Holz, sagt Reis, ist für ihn ein organischer und lebendiger Stoff.
Sein fast charmanter Pragmatismus, wenn er von diversen Holzverarbeitungsschritten spricht, ist ansteckend. Selbst für mich, der nachweislich zwei linke Hände hat. Ob er zufrieden ist frage ich ihn. Die Antwort kommt klar und unmittelbar: zufrieden, aber eben nicht verbissen, so wie manch anderer lautet die Antwort.
Aber es ist eben auch hier nicht alles Gold was glänzt. Der derzeitige Fachkräftemangel ist auch im Hause Reis angekommen. Fachkräfte sind de facto derzeit nicht am Markt vorhanden und wenn stellen sie exorbitante Gehaltsforderungen, ein Feierabend um 16:30 Uhr wird vorausgesetzt. Auch habe der Zeit- und Stressfaktor im Gegensatz zu früher immens zugenommen. Aber es gibt sie noch, die Herzensangelegenheiten, zumindest die richtigen Herzensaufgaben. Ein Kinderzimmer mit Bett für den zwölfjährigen Jakob zum Beispiel. Auch hier wirkt Reis äußerst glaubwürdig bei der Erzählung. Es müssen eben nicht die Big Player wie Porsche oder andere sein, die ihm die Aufträge für Messestände oder ganze Vorstandszimmer erteilen, um für ihn eine Befriedigung dazustellen. Manchmal ist eben auch der kleine Jacob der größte Auftraggeber.
Zum Abschluss gegen wir durch die große Halle, vollgepackt mit Maschinen und Holz in allen Variationen und ich schau mich nochmal um und bin schon etwas beeindruckt, was ein Mann schaffen kann, wenn er den Mut hat und den unabdingbaren Willen voranzugehen.
Er müsse sich verändern, denn der Markt habe sich verändert. Und nur wer mit der Zeit geht, der geht eben nicht mit der Zeit meint Reis. Und natürlich hat Reis Recht. Mir fällt mein eigenes Gewürzboard von damals wieder ein und wie schwer ich mich getan habe mit meinen eigenen Händen etwas zu erschaffen.
Es ist fast selbstverständlich, dass das große Mammutprojekt, ein Messestand in exponierter Lage und mit außergewöhnlicher, konzeptioneller Anforderungen aufs Vortrefflichste von Reinhard Reis umgesetzt worden ist. Ich ertappe mich bei der Frage, ob er wirklich ein Gewürzboard für mich machen kann, aber ich stelle es besser nicht. Eher ein großes Bett aus Zirbenholz, wahrscheinlich ein Auftrag ganz nach Geschmack für den Mann, der es kann.